Evas Fahrt ins Paradies - Schleifers Berg und Talbahn Evas Fahrt ins Paradies - Schleifers Berg und Talbahn Mark Schumburg

"Die Fahrt ins Paradies" - die Geschichte einer Berg- und Talbahn

Während sich das Karussell langsam in Bewegung setzt, begrüßt Toni Schleifer seine Fahrgäste persönlich mit einem freundlichen "Hallo….Hallo…Hallo….Hallo!!!!"
Dann greift er zum Saxophon und begleitet mit seinem Instrument gefühlvoll die Melodie - beispielsweise zu "The Pink Panther".
Hiernach folgt eine kleine Einweisung zu seiner Berg- und Talbahn:

"Fangen wir erst mal langsam an, da bleibt noch Zeit für eine kleine Produktinformation! Ihr sitzt in einem Karussell aus dem Jahr 1939, eine Berg- und Talbahn, fast komplett aus Holz gebaut, vom damaligen Weltmarktführer der Karussellindustrie - der Firma Friedrich Heyn aus Neustadt an der Orla. Unser Karussell war über 50 Jahre eingelagert in einem Schuppen. Es war vergessen worden. Wir haben es zufällig im Jahr 2003 entdeckt, sieben Jahre aufwendig restauriert! Es befindet sich jetzt wieder in einem nahezu 100%igen Originalzustand und ist in dieser Art und Ausführung das letzte Exemplar und damit einmalig auf der ganzen Welt. So – und jetzt hab ich genug gequatscht. Jetzt wollen wir doch mal sehen, was die alte Kiste noch kann!!
JETZT GEHT’S LOS!!! – Wir fahren Tempo!!!"

Nicht nur dass die Bahn das letzte Exemplar seiner Art ist, auch die Art und Weise, in der sie von Toni Schleifer, seiner Ehefrau Claudia und ihrer Tochter Eva betrieben wird, sucht ihresgleichen. Damit lässt die Familie Schleifer eine alte Tradition aufleben, die in der damaligen Zeit häufig in den großen Karussellpalästen oder an den großen Dampfkarussells anzutreffen war. Mit Konfetti und Luftschlangen, mit kleinen Tröten und Liederkärtchen und mit einem großen Halali kann man bei ihnen und mit ihnen eine Fahrt mit allen Sinnen erleben. Diese Bahn wird nicht nur betrieben, sie wird geradezu gelebt! Noch eine Besonderheit: Die letzte Runde vor dem Feierabend wird stets mit dem Lied der Deutschen begleitet. Damit, so erzählt Toni Schleifer, wird der Feierabend eingeläutet, so wie früher durch das Fernsehtestbild und die zuvor abgespielte Nationalhymne der Sendeschluss angezeigt wurde. Das absolute Gänsehautfeeling stellt sich ein, wenn man bei der letzten Fahrt einer Veranstaltung dabei ist. Meist gesellen sich Kollegen und Kolleginnen, Mitarbeiter und letzte Fahrgäste hinzu und dann wird es nochmal ganz emotional. Gespielt wird die Elvis-Presley-Interpretation von "My Way". Alle Fahrgäste singen mit und zum Schluss verabschiedet sich Toni Schleifer von jedem seiner Gäste.

Zu Beginn der 1930er Jahre entwickelte die Karussellfabrik Friedrich Heyn den Karusselltyp "Fahrt ins Blaue", zu dem auch die "Fahrt ins Paradies" gehört. Der Unterschied zu den ersten Berg- und Talbahnen bestand in der Anzahl der Berge und Täler. Hatten die anfänglichen Bahnen nur zwei Berge, die Raupe schon drei, die "Fahrt ins Paradies" vier Berge. Hierdurch ergibt sich eine lustige angenehme Fahrweise, die in damaligen Annoncen als "Humoristische Tempofahrt", "Wellenfahrt", oder "Lustige Fahrt ins Blaue" bezeichnet wurde. Die "Fahrt ins Paradies" wurde am 25. April 1939 von der Karussellfabrik Friedrich Heyn an den Schausteller Jakob Pfeiffer aus Bruchmühlbach/Pfalz ausgeliefert. Anfang der 50er Jahre lagerte man die Bahn fein säuberlich in einem Schuppen ein. Dort fiel das Karussell in eine Art Dornröschenschlaf, der annähernd 50 Jahre andauerte. 

Ursprünglich lediglich als privates Restaurierungsprojekt gedacht, war der große Ansturm auf die "Fahrt ins Paradies" auf der Annakirmes in Düren und der Jubiläumswiesn auf dem Oktoberfest in München 2010 ein unerwarteter Erfolg für die ganze Familie Schleifer. In den Folgejahren hat sich die "Fahrt ins Paradies" zu einem wahren Kultkarussell entwickelt, das sich eine feste Fangemeinde in ganz Deutschland geschaffen hat. Wer hätte erwartet, dass dieses Karussell nach nahezu 80 Jahren noch so viel Freude und Begeisterung auslösen kann?  Möge die "Fahrt ins Paradies" noch viele Jahre das Publikum begeistern und Freude bringen und die Menschen an die große Zeit der klassischen Karussells aus Neustadt an der Orla erinnern.

Quelle:  "Vom Karussellpferd zur Raketenbahn", Susanne Fredebeul, 2019

 

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